Samstag, 20. August 2016
Der Zweck der Normsprache
Der DDR-Fernsehunterhalter Wolfgang Lippert erzählt gern, dass er einmal vor einer Show von einem Funktionär gebeten wurde, also die Anweisung bekam, nicht live „Fleisch“ zu sagen. In typischer Lippi-Manier tat er verdutzt: „Ich hatte nicht vor, herauszukommen und zu sagen: Guten Abend, meine Damen und Herren. Fleisch.“ Ja, sagt der Funktionär, auch sonst bitte nicht nebenbei versehentlich, ach, und auch nicht Urlaub; der Sommer war verregnet, daran sollen die DDR-Bürger nicht erinnert werden, um keinen Unmut zu erzeugen.

Das mit dem Fleisch wäre heute wieder denkbar. Andererseits völlig unnötig, die Moderatoren wissen, was sie sagen dürfen. Fleisch allenfalls im Zusammenhang mit kein Fleisch oder weniger Fleisch.

Der Punkt ist der: man könnte meinen, in der DDR konnte man alles im Fernsehen sagen außer Fleisch. Auch damals war allen klar, was man nicht sagt, und am besten denkt man gar nicht daran, was man nicht sagt, und am besten vergisst man, dass man daran nicht denkt.

Das deckt sich nun mit dem Zustand der heutigen Medienkaste. Gegen die Normsprache wird nicht verstoßen.

Der Traum der Sprachkontrolleure ist nicht, dass irgendwann der gerechte Endzustand erreicht ist, wenigstens sprachlich, in dem niemand mehr durch die Sprache diskriminiert, verletzt oder gemeint ist, weil alle gerecht sprechen. Der Traum ist, in der Position zu sein, die Sprache unter Kontrolle zu haben. Diese Kontrolle bedarf eines ständigen Ausdrucks, das heißt, es geht immer weiter mit neuen Vorgaben und Regelungen. Sonst würde man die Position räumen.

Dies wiederum heißt: Wer einmal anfängt, sich politischen Sprachnormen zu fügen, ist nicht nur passiver Mitsprecher, sondern Akteur einer illegitimen Herrschaftsausdehnung.

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