Freitag, 17. Oktober 2014
Opfer gegen Opfer
Die heutige Arbeit haben schon die Kommentatoren zum Artikel
http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/prozess-um-toten-fluechtling-in-gerhart-hauptmann-schule-wie-wird-ein-opfer-zum-taeter/10850038.html
geleistet.
„Wie wird ein Opfer zum Täter? Ein Streit vor der Dusche. Am Ende ist ein Flüchtling tot. Seit Donnerstag steht der Angeklagte aus der besetzten Hauptmann-Schule vor Gericht. Wie wird ein gambischer Bauernsohn zum Messerstecher?“
Viele Fragen. Vor allem: Opfer wovon? Vom gambischen Bauernvater?
Das ist eine äußerst herablassende Haltung, diese Pauschalveropferung, nur weil es jemand bis in die Gerhart-Hauptmann-Schule geschafft hat.
Dusche. Am Ende ist einer tot. Duschen kann so gefährlich sein, das wissen wir ja.

„Der Gambier Nfamara J. hat den Marokkaner Anwar R. im einzigen Duschraum der Schule mit neun Messerstichen getötet. Das gab er gestern durch seinen Anwalt zu.
Der Rest – war es Totschlag, Notwehr, ein minder schwerer Fall? – bleibt zu klären.“
Mord kann es schon gar nicht sein, der Paragraph ist gerade wegen Überarbeitung geschlossen, und ein Flüchtling als Mörder, wo kommen wir denn da hin.
„Doch wie wird einer vom Opfer zum Täter? Vom gambischen Bauernsohn, analphabetischen Familienvater, vom Flüchtling im Holzboot, vom Tomatenpflücker in Spanien zum Messerstecher in Berlin? Wie muss der Wind stehen?“
War es wirklich der Wind oder vielleicht der Bossa Nova?
„Nfamara J., 41 Jahre, so schmächtig, dass die Hose rutscht, zieht die Schultern zum Kinn. Saal B129, Große Strafkammer. Er gräbt die Lippe in seinen dunkelblauen Rollkragenpullover, klemmt die Arme zwischen seine Oberschenkel, kehrt die Turnschuhspitzen zueinander. Versinkt zwischen Verteidiger und Dolmetscher. Unsichtbarer geht nicht.
Manchmal wischt er sich Tränen aus dem Gesicht. Auch er scheint sich zu fragen: Wie bin ich nur hierhergekommen?“
Die Frage ist eher, wohin der Tagesspiegel gekommen ist.

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