Donnerstag, 26. November 2015
Lügnerpresse
Journalisten sehen sich gelegentlich in defensiver Position, was sie nur noch wütender macht, wenn sie sich gegen den schlimmen pauschalen Vorwurf Lügenpresse verteidigen müssen und vorbringen, sie würden ja gar nicht lügen und wenn, dann wäre es nicht gelogen.

Das heißt eigentlich nur, dass sie es selbst schon nicht mehr merken.

Nehmen wir dieses Beispiel aus dem Kölner Stadtanzeiger. „Mit einem fragwürdigen Aushang hat eine Erfurter Zahnärztin einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Darin informiert sie die übrigen Hausbewohner, dass ihre Praxis am kommenden Samstag Notdienst habe und vom Gesetzgeber verpflichtet wurde, ‚Asylsuchende im Notdienst zu behandeln.’ Zu diesem Termin würden die Flüchtlinge mit einem ‚Sammeltransport’ zugewiesen. Daher bitte sie die Anwohner, ‚keine Wertgegenstände im Treppenhaus oder im Auto liegen zu lassen.’“

Man würde jetzt vielleicht sagen, ja, Hetzpresse, Denunziantenpresse, aber Lügenpresse?

Der Verfasser dieser Zeilen ist sich seiner Lüge gar nicht bewusst.
Sie besteht im ersten Satz. Nein, nicht das „fragwürdig“, das ist die typische emotionalisierende Bevormundung des Lesers.
Sondern in der falschen Tatsachendarstellung, die Zahnärztin habe damit „einen Sturm der Entrüstung ausgelöst“. Das hat sie nicht. Oder haben die Hausbewohner gesagt: „Wie empörend, natürlich lasse ich Wertgegenstände da, wo die Flüchtlinge sie finden und zurückbringen, und Desinfektion ist ja Generalverdacht!“? Kaum. Der sogenannte Sturm der Entrüstung ist eine gemachte Hetze, ausgelöst von einem Menschen niedrigen Instinkts und faschistoider Gesinnung voller Hass auf die Frau, die es zur Zahnärztin gebracht hat. So ähnlich wie der Journalist, der den Text verfasst hat.

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Ich frage mich
ob diese Art Hetze und Lüge schlimmer ist als die, um die es hier geht:
http://derstandard.at/2000026114288/Presserat-mahntFotos-im-richtigen-Kontext-zu-veroeffentlichen
(überraschend, dass der linksliberale Standard die Schelte so bringt, die anderen waren da zurückhaltender bis stumm). Das im Artikel verlinkte Video zeigt, was in Bicske wirklich passiert ist.

Die Frage ist also: was ist schlimmer, subtil und hinterhältig oder grob und direkt? Ironischerweise ist das auch ein "Wettbewerb der Schäbigkeit". Der Ausdruck stammt ja von Merkel, allerdings in Bezug auf den Umgang mit den Flüchtlingen (und Ungarn war hier an erster Stelle gemeint, gerade aufgrund solcher Bilder), und bei dem will sie ja nicht mitmachen.

Aber zurück zu den Medien, die deutschen machen beim Wettbewerb der Schäbigkeit mit und manche wählen dann doch grob und direkt und mir ist nicht bekannt, dass der deutsche Presserat etwas dazu gesagt hätte:
Bei Maischberger am 8.9.2015
https://www.youtube.com/watch?v=QTZTNHYgVV4
ist das Foto der Szene in Bicske mehrfach gezielt eingeblendet, zuerst zu Michel Friedmanns Wortmeldung (8:40), dann nahm Maischberger direkten Bezug auf das Bild (13:40). Da habe ich aufgehört die Sendung weiter zu verfolgen, das hat vollkommen gereicht.

Auch der Spiegel hat seinerzeit ein Video über den Vorfall in Bicske online gestellt, bei dem der erste Teil des Videos - gewiss nur wegen Speicherplatzmangels - weggelassen worden ist, zufälligerweise der erste Teil.

Und man kann sich fragen, inwieweit diese Berichterstattung Merkel bei ihrer Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, beeinflusst hat. Bei einer Entscheidung, die unter Umständen die Zukunft des Kontinents bestimmt hat.

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