Sonntag, 27. März 2022
Erosionsmoral
Wenn die Politiker in einem Amtseid die Zusage geben, 'nach bestem Wissen und Gewissen' zu handeln, also zu entscheiden, klingt dies nach einem moralischen Anspruch, ist aber etwas völlig anderes als das Moralisieren, das in unserer Politik so penetrant geworden ist. Man kann in den seltensten Fällen 'das Richtige' entscheiden; wenn das so wäre, wäre der Entscheidungsträger überflüssig. Man hat sich häufig zwischen schlechten Möglichkeiten zu entscheiden und kann hoffen, dass das, wofür man sich im Rahmen seiner Kompetenz entschieden hat, etwas weniger schlecht ist. Und man hat geschworen, nicht nach Partikularinteressen zu entscheiden und sich nicht von einem Kaderleiter steuern zu lassen.
Und das wäre schon viel, wenn das so ausgeübt würde. Damit wären wir schon zufrieden.
Das Moralisieren hat etwas anderes bewirkt, jede Entscheidung wird als die moralisch richtige oder sonstwie alternativlose kommuniziert mit der Folge, dass alle, die was anderes sagen, die Dummen, Üblen und Dunkeln sind.
Ohne dass die Verfassung gebrochen worden wäre, entfernt man sich so von der demokratischen freiheitlichen Gemeinschaftsordnung, in der offen debattiert würde, und man kann sicher sein, dass die getroffenen Entscheidungen nicht das geringste Übel darstellen.
Der Erosionsprozess ist nunmehr so weit, dass gar keine Vorstellung mehr davon besteht, wie es denn anders gedacht gewesen sein könnte.

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