Montag, 12. Juni 2017
Kleiner Rückblick auf stalinistische Zeiten
Versucht man, sich Kulturpolitik und Kulturschaffen in einem stalinistischen System vorzustellen, macht man sich wohl so ein Bild, dass die Zensur nur das Gelittene durchlässt und daher sowieso nur die Stücke voller Jubel auf den Großen Kim oder Stalin durchkommen, von einigen wilden Übertretungen abgesehen, und ab und zu muss auch mal ein Exempel statuiert werden.
Das ist aber nicht, wie es im Stalinismus zugeht.
Obwohl die Kulturellen, nehmen wir jetzt die Schriftsteller, sich ohnehin im Rahmen des Möglichen bewegen, gibt es eine konstante Menge an Verfemungen. Irgendwer war immer zu wenig dafür oder hat zu wenig die Errungenschaften besungen. Und dann, das ist der wesentliche Punkt, kann es gefährlicher werden für andere, sich für diesen einzusetzen oder dessen Buch zu haben, als für diesen selbst. Der eine Autor wird zur Gefahr für alle. Es kann genügen, sich nicht ausreichend von dem distanziert zu haben. Wie zeigt man, dass man sich distanziert? Durch Denunziation. Zu wenig Denunziation kann verdächtig sein.

Und nun dies im Perlentaucher:
„Eine höchst peinliche Geschichte hat SZ-Redakteur Lothar Müller über die NDR-Sachbuchbestenliste zu erzählen: Dort rangiert auf Platz 9 das Buch ‚Finis Germania‘ des im Herbst 2016 verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle, das im rechtsextremen Antaios-Verlag erschienen ist.  In seinem Buch fordert Sieferle ‚'das indigene Volk' der Deutschen auf, sich gegen die Bedrohung durch die aktuellen Migrationsbewegungen zu behaupten und seine 'spezifische Identität' zu verteidigen.‘ Offenbar hat es ein Jury-Mitglied geschafft, seine anonym vergebenen Punkte geschickt zu platzieren: ‚Auf die öffentliche Kritik an der Aufnahme des Sieferle-Buches in die Liste hat bisher kein Jury-Mitglied mit der öffentlichen Erläuterung seiner Gründe reagiert, für Sieferles Buch zu votieren. Jens Bisky, Sachbuch-Redakteur der SZ, der nicht für Sieferles Buch votiert hat, ist am Sonntag aus der Jury ausgetreten.‘“

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